Mit Gott am Ball bleiben

Ich denke, dass mit dem Begriff Erbsünde etwas zum Ausdruck gebracht wird, was ich für eine grundsätzlich richtige Beobachtung des Menschseins betrachte.

Insofern handelt es sich um eine Zustandsbeschreibung, wie Christoph es nennt.

Einer meiner theologischen Lehrer hat diesen Zustand einmal die Ambivalenz der geschöpflichen Abhängigkeit“ genannt.

Er meinte damit ungefähr Folgendes: Als Geschöpfe sind wir aus dem Wort Gottes oder aus der Idee, wie es Platon vielleicht ausdrücken würde, in die Realität des menschlichen Lebens entlassen oder „geworfen“, wie Heidegger sich ausdrücken würde.

Hegel würde sagen, der Geist ist in den Zustand des „Außer sich Seins“ übergegangen. Der Evangelist Johannes sagt: „Das Wort ward Fleisch.“

Damit ist aus einer in sich selbst ruhenden Idee aus einem Gedanken eine Realität geworden, die Realität des Lebens und die Realität des menschlichen Lebens.

Diese Geschöpflichkeit, trägt folgende wichtige Merkmale:

Die Freiheit,
die Bewusstheit,
und die Zeitlichkeit bzw. die Endlichkeit.

Beginnen wir mit der Zeitlichkeit.
Allen Lebewesen ist gemeinsam, dass sie sich entwickeln. Aus einem Samenkorn wird irgendwann ein Baum, der neuen Samen hervorbringt, selbst aber wieder vergeht. Das unterscheidet die belebte Materie von der unbelebten Materie.

Aber auch die unbelebte Materie ist der Zeitlichkeit unterworfen. Die Erde ist entstanden und vergeht wieder genauso wie die Sonne entstanden ist und vergeht. Wahrscheinlich trifft das auf irgend eine Weise auch auf das Universum zu.

Die Ambivalenz dabei ist das Ausgespannt sein zwischen den beiden Bewegungen Werden und Vergehen. Das Einzelne, das Individuum vergeht, das Allgemeine, die Art, lebt aber weiter und entwickelt sich weiter.

Die zweite Stufe der Evolution ist die Entwicklung des Bewusstseins. Wenn man das Heranwachsen eines Baumes noch verstehen kann als einen quasi automatisch ablaufenden Prozess, vergleichbar mit dem Programm eines Computers, das durch den genetischen Code gesteuert wird, so geht das Bewusstseins darüber hinaus.

Das Bewusstsein zeichnet sich durch die Fähigkeit zur Wahrnehmung aus und es ist dazu in der Lage, einen eigenen Willen herauszubilden und diesen Willen in eine konkrete Handlung umzusetzen.

Diese Fähigkeit des Bewusstseins ist mindestens bei allen Säugetieren und sicher auch bei vielen Meerestieren weit entwickelt.

Auch das Bewusstsein arbeitet mit Ambivalenzen. Die Wahrnehmungsfähigkeit beruht zum größten Teil auf der Fähigkeit zu unterscheiden, zwischen hell und dunkel, rot und grün, ruhig und bewegt usw.

Diese beiden Stufen lassen sich in der biblischen Schöpfungsgeschichte wiederfinden. Der Urzustand im Paradies scheint zunächst zeitlos zu sein. Es herrscht Frieden zwischen den Lebewesen und der Tod ist noch unbekannt.

Der eigentliche Schöpfungsakt besteht in der Teilung. Gott teilt den Himmel und die Erde, das Licht von der Dunkelheit und das Land vom Wasser.

Um überhaupt etwas zur Existenz zu bringen, muss es hervortreten. Existieren heißt, dass etwas hervorsticht, dass etwas heraus gestellt wird. Dazu muss ich dieses Etwas getrennt von einem Hintergrund betrachten, um es wahrnehmen zu können. Ein Glas steht auf dem Tisch, ein Berg erhebt sich aus einer Landschaft.

Verstehen wir Existenz in diesem Sinne als Trennung von einem Ursprung bzw. Hintergrund, dann erschließt sich auf diese Weise der theologische Begriff, der in der Sünde eine ursprüngliche Trennung von Gott sehen will.

Jack Miles hat in seinem bemerkenswerten Buch mit dem Titel „Gott“ die Schöpfungsgeschichte als den bewussten Versuch Gottes gesehen, sich ein Gegenüber zu erschaffen, in dem er sich selbst erkennen kann.

Im weiteren Gang der biblischen- und der Menschheitsgeschichte erkennt Gott sich im Menschen und der Mensch sich in Gott.

Das hört sich merkwürdig an, ist es aber nicht. Die Selbsterkenntnis ist auf das Gegenüber angewiesen. Oft kennen uns andere Menschen  besser als wir selber.

Die erste „Erkenntnis“ in der Schöpfungsgeschichte ist deshalb die wechselseitige Erkenntnis von Adam und Eva. Sie erkannten einander.

Da auch Tiere sich auf dieselbe Weise einander erkennen, um sich fortzupflanzen, kann man ihnen zu Mindestens ein gewisses Maß an Selbsterkenntnis nicht absprechen.

Auf einer weiteren Stufe der Evolution der Natur und des Geistes entwickelt sich die Sprache und das Recht. Auch diese beiden Stufen finden wir im Schöpfungsbericht der Bibel: Adam gibt den Tieren Namen und Gott erlässt ein Verbot vom Baum der Erkenntnis zu essen.

Auch höhere Säugetiere haben Formen des Rechts entwickelt, indem sie Reviere markieren, die zu Mindestens teilweise von den Artgenossen respektiert werden oder sie haben Rangfolgen in der Herde heraus gebildet, die jedem einzelnen Tier einen festen Platz zuweisen. Jedem Hund werden Regeln beigebracht, an die er sich halten muss und in der Dressur wird mit Belohnung und Strafe gearbeitet.

Die Übergänge zwischen Mensch und Tier sind fließend, trotzdem ist der Unterschied zwischen Mensch und Tier fundamental. Wittgenstein hat diesen Umstand einmal so beschrieben:

Zwar ist es schwer zu sagen ob man genau in der Mitte eines Raumes steht, ganz sicher lässt sich aber feststellen ob man sich weit rechts oder weit links im Raum befindet.

In diesem Bild stehen sich sowohl Gott und Mensch als auch Mensch und Tier einander in verschiedenen Ecken des Raumes gegenüber, wobei die Distanz zwischen Gott und Mensch größer ist als die zwischen Mensch und Tier.

Allen, Gott, Mensch und Tier ist eines gemeinsam: Ihre Ambivalenz.

Wenn auch Aristoteles in Gott den unbewegten Beweger sieht, also die letzte Ursache von allem, eine in sich selbst ruhende Einheit, so ist das Gottesbild der hebräischen Bibel vollkommen anders gestrickt. Gott erscheint hier anthropomorph und emotional. Er hat Gefühle wie Zorn und Eifersucht, Liebe und Barmherzigkeit. Er lässt sich in Kriege verwickeln und befreit sein Volk aus der Sklaverei.

Selbst zum Gefühl der Reue ist er fähig, so als ob er selbst sündigen könnte, als er sein Zerstörungswerk der Menschheit durch die Sintflut bedauert und beschließt es nie wieder zu tun.

Im Laufe der Geschichte, die Gott mit den Menschen durchläuft, entwickelt sich Gott und er lernt dabei. Die Biblische Sichtweise deckt sich hier mit der Hegels, der in Gott ebenfalls ein sich in der Geschichte entwickelndes Wesen erblickt, das sich im Prozess zunehmender Erkenntnis und Selbsterkenntnis befindet.

Dieser Vorstellung von der Menschenähnlichkeit Gottes, wie wir es in der hebräischen Bibel finden, setzt das Christentum quasi noch die Krone auf, indem es von der Menschwerdung Gottes in Christus spricht.

Vorausgesetzt, man will die Existenz Gottes nicht leugnen, sondern bemüht sich statt dessen zu verstehen, was gemeint ist, wenn von Gott die Rede ist, dann ergibt sich für mich folgendes Bild:

Die Rede vom anthropomorphen Gott, wie er uns in der Bibel begegnet, ist keineswegs überholt, so als handele es sich um Phantasiebilder aus der Kinderstube der Menschheit, die wir auf der Stufe des begrifflichen Denkens getrost hinter uns lassen können.

Vielmehr zeigt sich, dass philosophische und begriffliche Kategorien eine  erstaunliche Parallelität zu den Bildern und Symbolen der biblischen Sprache aufweisen.

Während die Philosophie Gott auf den Begriff zu bringen versucht, beschreiben die Texte der Religionen Gott in poetischer und prosaischer Bildersprache.

Eine Religion, die versucht sich selbst auf eine philosophische Begrifflichkeit zu reduzieren, wird weder Gott noch den Menschen gerecht.

Das eigentlich religiöse ist, die Frage nach Gott, Mensch und Welt offen zu halten. Jeder Versuch die letzte Antwort auf die vermeintlich letzte Frage zu geben, muss scheitern.

Sepp Herberger würden sagen: Wir müssen am Ball bleiben.

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