Gerne wird gesagt: „Die Wahrheit gibt es nicht“. Dieser Satz ist sowohl wahr als auch falsch und da sind wir schon mitten im Thema:
Natürlich gibt es eine Wahrheit, denn wenn es die nicht gäbe, könnten wir auch nicht von einer Lüge sprechen.
Die Kategorie „Wahrheit“ ist unverzichtbar.
Aber genauso wie es keine Lüge ohne Wahrheit gibt, die sie verleugnet, so gibt es auch keinen Tag ohne die Nacht.
Wenn ich aus dem Fenster schaue und wahrheitsgemäß feststelle, dass es Tag ist, so ist es sicher, dass auf der anderen Seite der Weltkugel ein Mensch gleichzeitig in eine tiefe Nacht blickt.
Was lernen wir daraus? Bei der Wahrheit kommt es immer auch auf den Standpunkt an von dem aus man in die Welt blickt.
Für den einen sind dieselben Menschen „Freiheitskämpfer“, die für die anderen „Terroristen“ sind. Was für den einen eine „Humanitäre Intervention“ darstellt, ist für den anderen ein verbrecherischer Angriffskrieg.
Es gibt diesen Zusammenhang zwischen Erkenntnis und Interesse im Großen wie im Kleinen. Die Wahrheit liegt meist irgendwo dazwischen.
Aber es gibt doch wissenschaftliche Erkenntnisse und die Gesetze der Mathematik, die zweifelfrei wahr sind.
Nein, die gibt es nicht. Es gibt so gut wie keine wissenschaftliche Erkenntnis von Bedeutung, die nicht von anderen Forschen mit guten wissenschaftlichen Argumenten bestritten wird.
Die Mathematik selbst beruht auf Axiomen, die willkürlich gesetzt sind.
Selbst die Tatsache, dass Zwei und Zwei Vier ergibt, stimmt nur innerhalb des dezimalen Zahlensystems. Im binären Zahlensystem kommt die Zahl Zwei gar nicht vor, sondern nur die Zahlen Null und Eins.
Wahrheit ist in aller erster Linie eine Frage der Wahrnehmung und des Standpunktes, von dem aus man urteilt.
Deshalb geht es in Diskussionen mehr und mehr darum, ob man den richtigen oder falschen Standpunkt vertritt und nur noch selten werden die Fakten, die den gegensätzlichen Standpunkt begründen, überhaupt zur Kenntnis genommen. Man nennt das auch Bashing.
Historisch könnte man wissen: Die vermeintliche Wahrheit von heute ist der Irrtum von Morgen. Jahrhunderte war man der Meinung, die Erde sei flach, bis einer den Gegenbeweis antrat und sich allmählich die Überzeugung durchsetzte, dass die Erde rund sei. Auch das ist keine Erkenntnis für die Ewigkeit. Vielleicht entwickeln wir ganz andere Vorstellungen vom Raum die einen Begriff wie „rund“ völlig obsolet erscheinen lassen.
Ich glaube trotz dieser Vorläufigkeit und Relativität es sich trotzdem lohnt, nach der Wahrheit zu suchen. Auch sollte die Wahrheit streitbar sein und bleiben.
Es gilt der Satz des Evangelisten Johannes:
Erkennet die Wahrheit und die Wahrheit wird Euch frei machen.
Oft sind wir die Gefangenen unserer eigenen Lügen und betrügen uns selbst und andere wissentlich.
Deshalb ist es gut und freimachend, die eigene Wahrheit zu erkennen auch wenn sie vielleicht manchmal bitter ist. Es gut zur eigenen Wahrheit zu stehen und den Mitmenschen gegenüber so ehrlich wie möglich zu sein. Auch das macht frei.
Noch einmal der Satz:
Erkennet die Wahrheit und die Wahrheit wird Euch frei machen.